Im Übermaß ausgelebt, wirkt Zorn selbstzerstörerisch -
wird er unterdrückt, macht er depressiv:
Der Umgang mit der Todsünde ist ein Drahtseilakt.
Zorn ist vieles, aber vor allem eines: facettenreich. Schwer zu bändigen, zerstörerisch und verletzend kann er sein. Richtig dosiert gilt der Zorn aber auch als primäre Energiequelle und Triebkraft dafür, Stress und Burnout zu vermieden, Probleme anzusprechen und sie zu lösen. Ohne ihn gäbe es kein Handeln, ohne Handeln keine Besserung der Situation. Genau deswegen gilt der Zorn als eine elementare Antriebsfeder, als sozial sinnvolle Reaktion auf konfliktreiche Situationen.
Zorn ist vieles |
Das führt dazu, dass die Schwelle zu zornigen Ausbrüchen gesunken ist.
Hinzu kommt, dass der Anspruch auf gerechte Behandlung in der Demokratie gestiegen ist:
Besser leben, aufsteigen, Chancen wahrnehmen, sich mit anderen vergleichen.
Der Psychologe Heiko Ernst spricht auch von einer "Anspruchsmentalität ", in der jeder auf seine Rechte pocht, wie etwa jene auf Ruhe oder Freiheit.
Besser leben, aufsteigen, Chancen wahrnehmen, sich mit anderen vergleichen.
Der Psychologe Heiko Ernst spricht auch von einer "Anspruchsmentalität ", in der jeder auf seine Rechte pocht, wie etwa jene auf Ruhe oder Freiheit.
Stress: die moderne Gesellschaft, fühlen wir uns doch schnell ungerecht behandelt |
Lange lässt der zornige Ausbruch dann auch nicht mehr auf sich warten:
Gerade Nachbarschaftsstreitereien gelten als eines der Paradebeispiele für diese "Verrechtlichung der Beziehung", die aufgrund von vermeintlichen Banalitäten eskaliert. "Tendenziell paranoid", nennt Ernst die moderne Gesellschaft, fühlen wir uns doch schnell ungerecht behandelt.
Gerade Nachbarschaftsstreitereien gelten als eines der Paradebeispiele für diese "Verrechtlichung der Beziehung", die aufgrund von vermeintlichen Banalitäten eskaliert. "Tendenziell paranoid", nennt Ernst die moderne Gesellschaft, fühlen wir uns doch schnell ungerecht behandelt.
Selbstschädigung und Dauererregung
Doch allzeit Dampf abzulassen und ständig mit der Faust auf den Tisch zu hauen, um den Emotionen freien Lauf lassen kann durchaus schädigend sein.
Ein ausgelebter Zorn öffnet Aggressionen Tür und Tor, wodurch nicht nur soziale Beziehungen langfristig gefährdet werden, sondern auch die eigene Gesundheit.
Dauerhafter Zorn steigert nämlich den Blutdruck und lässt den Körper in ständiger Kampfposition verharren."Zorn macht blind, aber auch krank, wenn er nicht in vernünftige Bahnen gelenkt wird", sagt Ernst.
Selbstschädigung und Dauererregung sollten daher vermieden werden.
Zu viel davon ist also ungesund, zu wenig davon aber auch.
Dauerhafter Zorn steigert nämlich den Blutdruck und lässt den Körper in ständiger Kampfposition verharren."Zorn macht blind, aber auch krank, wenn er nicht in vernünftige Bahnen gelenkt wird", sagt Ernst.
Selbstschädigung und Dauererregung sollten daher vermieden werden.
Zu viel davon ist also ungesund, zu wenig davon aber auch.
Ist er unterdrückt, gilt er als "maskierter Zorn". So hat der Philosoph Stéphane Bornhausen in seinem Buch "Mensch, ärgere dich nicht", festgehalten, dass Wut zu einem gesunden Ego gehört und jeder, der das Gefühl nicht kenne, Gefahr liefe, depressiv zu werden.
Dieser Meinung ist auch Ernst.
Dieser Meinung ist auch Ernst.
Besonders Frauen tendierten dazu, aus sozialen Gründen ihren Zorn zu unterdrücken und nicht auszuleben. Darin sieht er mit eine Ursache für Depressionen - bei Männern hingegen seien Depressionen eher auf Frustrationen im Berufsleben zurückzuführen.
"Auch in der modernen, emanzipierten Partnerschaft sind die Frauen eher diejenigen, die nachgeben - sie werden zwar auch zornig, sind aber weniger impulsiv als Männer", sagt Ernst.
Ein Balanceakt
Ein Balanceakt
Zorn, ein Balanceakt |
Amokläufer etwa fühlen sich oft lange Zeit ausgeschlossen oder gedemütigt und suchen den gewalttägigen Ausgleich - mit verheerenden Folgen für ihre Umgebung.
"Zorn, der nicht rechtzeitig ausgelebt wird, ist genauso zerstörerisch, weil der Anlass dafür bleibt", sagt der Psychologe.
Mit dem Zorn umzugehen will daher gelernt sein.
Als wenig produktiv gilt dabei das unreflektierte Anbrüllen des Gegenübers in konfliktgeladenen Situationen – eine Selbstreflexion der erfahrenen oder vermeintlichen Ungleichbehandlung sowie Selbstkontrolle sind zielführender.
"Zeigen Sie den Zorn, aber leben Sie nicht die Aggressionen unkontrolliert aus", empfiehlt Ernst.
Nicht umsonst gelte der Rat, lieber bis zehn zu zählen und dann gut überlegt zu kontern.
Die Balance zu finden, den Zorn produktiv zu nutzen, ohne dass er selbstzerstörerisch wird, ist schwierig.
Michael Kohlhaas, Titelgestalt einer Novelle von Heinrich von Kleist, hat sie nicht gefunden. Er kämpft ohne Rücksicht auf Verluste um sein gutes Recht, wird dabei selbst zum Mörder und zum Tod verurteilt.
Mahatma Gandhi, Nelson Mandela oder Martin Luther King hingegen sei der Drahtseilakt geglückt.
"Das ist berechtigter Zorn, der sich aber strategisch den gewaltlosen Mitteln wie der Vernunft bedient", sagt Ernst.
Institutionalisierter Zorn
Auch die sozialen Unruhen in Griechenland oder Spanien zeigen, dass lang angestaute Emotionen an die Oberfläche müssen.
Institutionalisierter Zorn
Auch die sozialen Unruhen in Griechenland oder Spanien zeigen, dass lang angestaute Emotionen an die Oberfläche müssen.
"Es ist das Prinzip der Demokratie, dass der Zorn sofort institutionalisiert ausgedrückt werden kann, und das im Idealfall gewaltlos", sagt Ernst.
Ansonsten herrsche ständig Bürgerkrieg, weil sich eine Gruppe immer benachteiligt fühle.
Demonstrationen etwa sind ein zivilisierter Ausdruck von Zorn.
Freilich, auch in Demokratien kann der Zorn nicht immer kanalisiert werden.
Demonstrationen etwa sind ein zivilisierter Ausdruck von Zorn.
Freilich, auch in Demokratien kann der Zorn nicht immer kanalisiert werden.
foto: ap/maks levinSchlägerei im Parlament in Kiew: Ausgelebter Zorn kann die Gesundheit gefährden. |
Wenn sich Politiker im Parlament prügeln, ist das gewiss kein Vorbild dessen, wie mit Zorn produktiv umgegangen werden sollte.
Ausnahmen bestätigen aber bekanntlich die Regel.
Artikel link: Sophie Niedenzu, derStandard.at, 22.11.2013
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